Wie weit ist weit

Unsere Kinder gehen zu Fuß zur Schule. Ganz selten mal, weil man spät dran ist oder ohnehin in die Richtung fahren muss, bringen Eltern ihre kleineren Kinder mit dem Motorradtaxi, als Ausnahme. Kein Kind beschwert sich wirklich über 30 Minuten Fußmarsch und meistens kommen sie in einer großen Gruppe, haben Spaß dabei, entdecken Abenteuer und vor allem beim Heimweg – obwohl müde – können sie sich auch auspowern und den Schulstress abschütteln.

Ein paar der Größeren haben durchaus einen noch weiteren Schulweg und daher stimmen wir dem Wunsch fast aller Kinder ab einem gewissen Alter nach einem Fahrrad auch gern zu. Es erleichtert einfach viel und ist gleichzeitig ein tolles Sportgerät für die Nachmittage. Und ab Klasse 7 bieten wir das sogenannte Half-Boarding, das heißt die Kinder schlafen auf simplen Matratzen in der Schule bis Samstag mittags, sind sonntags und in den Ferien aber zuhause. (Jetzt durch die Covid-Beschränkungen ist es gerade schwierig, aber Kenia lockert wöchentlich mehr.)

Bei meinen Familienbesuchen von Kindern anderer Schulen, die wir auch unterstützen, sehe ich aber immer wieder, dass offenbar da die Uhren anders ticken. Da werden Kinder aufgenommen, die manchmal 1,5 Stunden Fußmarsch zu bewältigen haben, 4jährige. Das heißt, sie müssen sich um 5 Uhr auf den Weg machen. Unmenschlich. Aber oft ist es die einzige erschwingliche Schule für die Eltern. Warum lässt man das zu? Meine Erfahrung – die wenigstens Schulleiter oder Lehrer haben auch nur den geringsten Schimmer, wo ihre Kinder wohnen, aus welchen Verhältnissen sie kommen, wie die Familienstruktur ist. Man klopft an beim jährlichen Casting und wenn es eine Geburtsurkunde gibt und das Schulgeld bezahlt wird, ist es jedem egal.

Was bei uns anders ist – bevor ein Kind bei uns aufgenommen wird, überprüfen wir die gesamten Verhältnisse der Familie. Und dazu gehört als allererstes – wie weit entfernt wohnt das Kind? Ist das zu bewältigen. Im Zweifelsfall zahlen wir das Schulgeld für eine Schule gleich neben der Hütte. Aber auch andere Informationen holen wir ein, auch, weil wir unseren Sponsoren verpflichtet sind. Schafft es die Familie wirklich nicht ohne Hilfe oder erzählt sie das nur? Wie viele Kinder gibt es überhaupt. Unser Deal ist immer, wenn wir dir die Sorge für eines abnehmen, schickst du eines der anderen verlässlich in eine öffentliche Schule. Seit Jahren gilt auch, wir sponsern maximal zwei Kinder aus einer Familie.

Auch eine wichtige Frage, haben die Eltern irgendeine Arbeit, gibt es überhaupt Eltern oder sind die beide irgendwo und Kind wächst bei der Großmutter auf. Wer ist also unser Ansprechpartner bei Problemen? Dazu eine lustige Geschichte:

In der Anfangszeit dachten alle, wenn es nur eine alleinerziehende Mama geben würde, dann würden wir ein Kind eher fördern. Also gab es immer die Info, Vater gestorben. Bis wir das durchschaut hatten, verging eine Weile. Bei allen Besuchen waren keine Väter zu sehen. Bis wir dann bei einem der Elternabende erklärten, wir würden das sehr schade finden, dass es keine Väter gibt. Wir würden viel lieber mit Familien arbeiten, wo auch Väter eine Verantwortung übernehmen würden. Beim nächsten Elternabend – ich war gerade anwesend – plötzlich doch einige Väter im Raum, denen ich dann zu ihrem plötzlichen „vom Tode auferstanden“ gratuliert habe. Unter großem Gelächter.

Heute weiß jeder, er muss nicht auf total arm spielen oder alleinerziehend (wobei es immer noch die meisten Härtefälle bei Alleinerziehenden beiderlei Geschlechts gibt), unser Kriterium ist eher – unterstützt du dein Kind, bist du ernsthaft an Bildung interessiert, wirst du mit uns zusammenarbeiten, auch präsent sein bei den Elternabenden. Es gibt auch nur noch im Notfall alles gratis, wir verlangen wo immer es möglich ist, inzwischen die Schuluniform von den Eltern und die Hefte ebenfalls. Und unsere Eltern müssen Feuerholz bringen, sonst haben die Kinder nichts zum Essen.

Gestern bekam ich übrigens von einem der großen Buben einen rührenden Brief darüber, sein Schulweg sei so weit. Manchmal siedeln Eltern um, und dann überlegen wir, was ist besser fürs Kind, ein weiterer Schulweg, aber bei uns bleiben, oder kürzerer Schulweg und andere Schule. Bei den Großen entscheiden wir meistens für den längeren Schulweg. Jedenfalls bekommt der Bub ein Fahrrad, er weiß es noch nicht, Überraschung.

 

Helfen ist einfach, erfordert aber doch wesentlich mehr als nur Geld ausstreuen. Und darum bemühen wir uns jeden Tag.

 

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