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Vorbilder und Stereotype

Vor kurzem hab ich mal wieder einige unserer Kids gefragt, was sie denn später werden wollen, welche Zukunftsbilder, welche Berufe, welches Studium. Und wohlgemerkt, nicht 6jährige, die alle Pilot oder „driver“ werden wollen. Von einem Buben, ungefähr 14 Jahre alt, kam die Antwort – „soldier“, also Soldat.

Warum, welche Verbindung hat dieser junge Mensch denn zu Soldaten? Polizei lasse ich mir noch einreden, die stehen überall herum, aber Soldat? Ich hab also aus Neugierde weiter gefragt, warum gerade Soldat, weißt du denn, was die so machen? Am Ende stellte sich heraus, „die stehen an einem Tor und öffnen die Schranke, damit Autos rein oder rausfahren dürfen“. Also nicht Soldat, sondern Security am Tor.

Mein Antiquitätenhändler in Mombasa hat mir sein Leid geklagt, er findet einfach kein Personal, dass alte Möbel restaurieren könne. Jede Menge Tischler, aber das nicht. Ich rede mit unserem Tischler Simon, der mir einen alten Sekretär restauriert hat, ja, ist nicht Teil des Curriculums. Aber das wäre doch eine Marktlücke, unterrichte das doch, macht doch da was. Er nickt, nicht so ganz überzeugt. Wer will denn alte Möbel, wenn es chinesisches Plastik gibt? Aber ich werde dran bleiben.

Ich habe mich noch bis vor Kurzem darüber gewundert, warum auch unsere Maturanten nur so einen eingeschränkten Berufswunsch haben – Lehrer, Krankenschwester, eventuell noch IT oder was mit Wirtschaft, das wars oft schon. Okay, für Medizin und Recht braucht man so überdurchschnittliche Noten, das verstehe ich ja noch. Medien kommt ganz oft oder Journalismus. Aber zum Beispiel nie mal Architektur.

Letztes Mal hab ich gefragt, was macht eigentlich ein Architekt oder eine Architektin. Die Antwort, sie bauen ein Haus, aber nicht so ein Lehmhaus, sondern eins mit Steinen. Aber eben, rechteckig, höchstens mal andere Säulen davor oder größer oder andere Farbe oder ein Stockwerk drauf. Was sie halt kennen und sehen.

Diesmal habe ich ein Buch meiner Lieblingsarchitektin Zara Hadid im Gepäck und eine Doku über diese tolle Frau, die leider 2016 gestorben ist. Und werde dabei von unserem Mr. Collins unterstützt, der glücklicherweise erkennt, ist auch Kunst und was für eine. Und ja, dafür braucht man auch Mathe, aber wenn man eben weiß, wofür man es braucht, vielleicht macht es dann ja auch mehr Spaß.

Mr. Collins hat jetzt lange in Nairobi gearbeitet, genauso wie unser Obmann Prof. Katana. Der sogar in Deutschland studiert hat. Und denen muss ich nicht viel erklären, die greifen sofort jede Idee auf. Aber bei den Kindern und jungen Menschen merke ich – es fehlen die Vorbilder. Klar kann man nur wählen, wenn man das schon mal gehört hat, wenn man wen kennt, der diesen Beruf auch ausübt. Selbst die Menschen, die wir einladen, der Klasse doch mal was zu erzählen, haben nicht so spannende Berufe. Irgendwie immer gleich.

Und jetzt kommt heute eine Whatsapp Nachricht von einem meiner persönlichen Studenten. Der studiert Kriminalistik in Nairobi und schreibt mir, dieses Semester steht Jugendkriminalität auf dem Stundenplan, auch Prävention und ganz viel mehr. Und ich bin elektrisiert und bespreche mit ihm, in den nächsten Ferien, die sich ja nicht mit den Schulferien decken, bitte komm in die Schule und erzähle von deinem Studium. Ich sammele Berufe. Und die Personalchefin einer großen Firma wird in Kürze mal ein Seminar halten, worauf kommt es bei einer Bewerbung an, wie „verkaufe“ ich mich besser. Denn immer wieder werden Jobs nur an Bewerber von „up-country“ vergeben, aus den großen Städten. Warum? Weil sie sich eben besser anbieten können, einen größeren Blickwinkel haben, einen weiteren Horizont, schon während der Schule mehr Angebote und Möglichkeiten.

Und während ich noch darüber nachdenke, wie wir die Scheuklappen unserer Kinder beseitigen können und ihnen zeigen, welche Möglichkeiten ihnen offen stehen, tappe ich selbst in solch eine Falle und werde mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert. Dreimal sogar.

Nummer 1 – Spielplatz. Wir haben ja viel gebaut, jetzt muss alles auch wieder schön gemacht werden. Unsere alten Metallspielgeräte sind verrostet, Holz muss ständig neu gestrichen und repariert werden, es muss doch auch so Fertigelemente geben, Vollplastik und haltbar. Ich googel herum, schicke Fotos, überlege schon, wie ich sowas von Österreich nach Kenia bekomme und erhalte von Mr. Mangi einen Katalog einer Firma in Nairobi. Genau das, gar nicht teuer, wird nächste Woche bestellt.

Nummer 2 – mein Francis war in den Weihnachtsferien in Nairobi in der Kunsthochschule, er hat dort ein Seminar belegt, Klavier und Komposition. Ich bin ganz begeistert, ein echtes Klavier, nicht nur keyboard. Das wäre irgendwann so toll. Ich schwärme per Whatsapp vor mich hin und bekomme wenig später aus einem riesengroßen Klavierhaus aus Nairobi Angebote. Richtig gute Stücke, teilweise aus alter Wiener Manufaktur. Inklusive Lieferung gerade mal 2.000 Euro. Das wird es, wenn die Halle steht.

Nummer 3 – während meines Gesprächs über Architektur mit Mr. Collins sind wir uns einig, die Kinder sollten schon früh bauen lernen.  Ich hatte mal Matador geschickt und Duplo und alles mögliche. Nur, hier kaufen und schicken, da machen wir nur Post und Zoll reich, das haben wir abgestellt. Und während ich noch laut lamentiere, schaltet sich Mr. Mangi, unser Schulleiter der Primary, ein und meint, da gibt es Shops extra für Schulen, Überraschung, in Nairobi, da kann man das alles kaufen, am Ende wohl wesentlich günstiger als wenn man es von Europa schicken würde. Und ja, da setzen wir uns im Februar zusammen.

Warum ich das erzähle? Weil wir gern sehen, wie andere in Stereotypen denken und sich als Beruf nur Lehrerin vorstellen können, wenn wir selbst in die Falle tappen, sind wir aber gern blind. Warum genau glaube ich auch nach 17 Jahren noch immer, dass es irgendwas in Kenia nicht gibt? Es gibt alles, man muss es sich leisten können.

Und mich wundert natürlich nicht, warum die uns aus Nairobi soweit voraus sind, wenn es dort alles gibt. Aber das werden wir ändern, versprochen.

 

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